Bin ich das ?
Leadership, CRM, TRM, Checklisten, Selbstreflexion, Kommunikation, Führungsqualität, Fürsorge und Verantwortung. Allesamt Wörter, die wir kennen. Allesamt Wörter deren Bedeutung wir kennen. Zumindest im Groben.
Ob Feuerwehr, Rettungsdienst, Notaufnahme oder auch auf der Intensivstation. Im Kleinen, also im Einsatz bzw. am/an einzelnen Patienten/Patientin, klappt das immer besser. Die 15 CRM-Leitsätze nach Rall/Gaba finden immer mehr Anwendung. Was in den 70′ er Jahren in der Luftfahrt entstand, findet auch endlich im Rettungsdienst seinen Platz. Wir erkennen, wie wichtig es ist, in kritischen Situationen handlungsfähig zu sein. Aber Handlungsfähigkeit beginnt schon viel früher!
Eine kleine Geschichte
Es ist Juli 2020. An einem Sonntag Morgen klingelt das Smartphone. Eine männliche Stimme erklärt:“ deine Mama ist heute Nacht verstorben“!
Am nächsten Tag wäre Dienst. Wie soll man da ordentlich arbeiten gehen? Was macht man jetzt?
Dieses Beispiel ist ganz bewusst als „worst case Fall“ genannt. Jeder wird jetzt sagen:
- bleib zuhause
- so kann man nicht arbeiten gehen
- ganz klar, melde dich krank
Als einer der schlimmsten Gründe einer emotionalen Belastung ist die Reaktion darauf ziemlich klar und natürlich stimmt es, so kann man definitiv nicht arbeiten gehen.
Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit geraten aber auch bei anderen Faktoren ins Wanken. Und diese sind nicht weniger wichtig oder weniger ernst zunehmen!
Bin ich heute Dienstfähig?
Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten können. Und das schon bevor man die Wache, Notaufnahme oder die Intensivstation betritt!
Jeder von uns hat sprichwörtlich sein Päckchen zu tragen. Diese Päckchen sind ganz individuell und jeder wertet diese für sich selbst. Was für den einen ganz profane Probleme sind, lösen beim anderen tiefe Krisen aus.
Mögliche Gründe können
- Krankheit
- Geldsorgen
- Trennung
- Todesfälle in der Familie oder Freundeskreis
- belastende Einsätze oder Situationen
sein. Jedoch stellt dies nur eine kleine Auswahl dar. Wie bereits erwähnt, sind die Gründe vielfältig.
Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir in unserer täglichen Arbeit mit Menschen zu tun haben. Auch die Kopfplatzwunde, der Krankentransport, der kleine Heckenbrand oder der Wechsel eines Perfusors auf einer Intensivstation können fordernd werden. Wir tragen Verantwortung für unser Handeln und im schlimmsten Fall können Patienten Schaden nehmen oder gar versterben. Um zu gewährleisten, dass wir das Beste sind, was dem Patienten passiert, müssen wir uneingeschränkt dienstfähig sein!
Als es in den 70’er Jahren vermehrt zu Flugzeugabstürzen kam, forschten die Fluggesellschaften intensiv an den Gründen. Leider waren diese zu einem Großteil menschliches Versagen. Darauf hin wurden Konzepte ins Leben gerufen, die diese menschlichen Fehlerquellen reduzierten.
Selbstreflexion definiert, ganz einfach gesagt, die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken. Das eigene Denken, Handeln und Fühlen zu hinterfragen und zu analysieren. Ziel dabei ist es, aus den Erkenntnissen, sein künftiges Handeln positiv zu beeinflussen. Dabei können wir uns als Individuum hinterfragen, aber auch als Teil eines Teams und der Rolle darin.
Um uns in der Fragestellung, ob wir dienstfähig sind, ein Tool an die Hand zu geben wurde das Akronym „I’M SAFE“ entwickelt.
Dieses Akronym soll uns helfen, Risikofaktoren die unsere Performance limitieren, zu benennen und greifbar zu machen.

- Illness. Leide ich im Moment unter Krankheiten, Verletzungen und/oder Schmerzen, die mich in meiner Arbeit behindern? Darunter fallen auch Allergien wie z.B. eine Pollenallergie? Tränende und juckende Augen, Probleme bei der Atmung beeinflussen die Leistungsfähigkeit negativ.
- Medication. Stehe ich unter Medikamente, die meine Performance negativ beeinflussen? Darunter stehen z.B. Benzodiazepine, Schlafmittel aber auch Medikamente gegen Übelkeit. Erwähnt werden müssen auch Antiallergika die Müdigkeit verursachen können.
- Stress. Stehe ich momentan unter beruflichen und/oder privaten Stress? Trennungen, Todesfälle, Mobbing, Geldsorgen und andere Probleme beeinflussen unsere Performance negativ. Leistungsdruck ist ein enormer Stressfaktor.
- Alcohol. Stehe ich gerade unter dem Einfluss von Alkohol oder Restalkohol? Nehme ich andere Drogen ein? Alkohol und Drogen wirken sich negativ auf unsere Reaktionsfähigkeit, motorische Fähigkeiten und Urteilsvermögen aus.
- Fatigue. Müdigkeit bzw. Erschöpfung lassen sich nicht durch Kaffee, Energiedrinks oder ähnliches beheben. Bei Schlafmangel hilft nur Schlaf.
- Emotion und Eating. Befinde ich mich in einem stabilen Gemütszustand oder bin ich momentan mental abgelenkt? Auch Hunger führt zu einem instabilen Gemütszustand, kann aber von allen Faktoren zeitnah behoben werden.
Ob und wie jede(r) Einzelne diese Checkliste anwendet ist natürlich jedem Selbst überlassen.
Wie erkenne ich ob es meinem Kollegen, meiner Kollegin gut geht?
Ob und wie wir Anzeichen erkennen hängt von vielen Faktoren ab. Wie lange und gut kennt man den/die Kollegen/Kollegin? Wie ist das Verhältnis zu einander? Extrovertiert oder introvertiert? Es gibt jedoch Anzeichen, die einem helfen, Risiken zu erkennen. Ist der/die Kollegin/Kollege
- ungewöhnlich gereizt?
- ungewöhnlich melancholisch?
- bagatellisiert oder übertreibt er ungewöhnlich?
- ungewöhnliche zynisch oder negativ eingestellt?
Das sind nur wenige Merkmale, die darauf schließen lassen, dass etwas nicht stimmen könnte. Wie ihr eure Kollegen und Kolleginnen wahrnehmt, wisst ihr selbst am besten. Ihr solltet vollkommen wertfrei damit umgehen. Es hilft, bei Dienstübernahme, die Kollegen und Kolleginnen zu fragen, ob alle in Ordnung sind oder jemand besondere Unterstützung braucht. Das muss nicht vor dem versammelten Team geschehen, sondern kann auch unter vier Augen passieren. Wichtig: man muss nicht wissen WAS los ist, es reicht einfach nur zu wissen, DASS etwas los ist. Und bitte nehmt diese Sorgen ernst!
Öffnet sich euch gegenüber ein Kollege oder eine Kolleginn, dann ist dieser/diese Ernst zu nehmen. Einen größeren Vertrauensbeweis gibt es kaum!
Patrick Krieger
Ein paar Worte zum Schluss
Führungskräfte tragen Verantwortung für ihr Personal. Nicht nur für den aktuellen Dienst, sondern für die gesamte Laufbahn. Sollte eine Führungskraft die Ängste, Sorgen, Probleme jedes Einzelnen seines Teams nicht ernst nehmen, schadet er/sie nachhaltig. Das beeinflusst nicht nur das betreffende Individuum, sondern das gesamte Team.
Für viele Arbeitgeber ist es wichtig, dass der betreffende Arbeitsplatz besetzt ist. Nicht selten ist dabei irrelevant, wie es dem/der Mitarbeiter*in geht. Allerdings haben wir keinerlei moralische Verpflichtung gegenüber unserer Arbeitgeber oder gar Patienten und Patientinnen dienstunfähig zu Arbeit zur kommen oder Extraschichten zu besetzen. Auch wenn oft an unserer Empathie und Aufopferung appelliert wird. Wir sind nicht der Sündenbock für fehlendes Personal, Missmanagement oder schlicht schlechtem Leadership. Seid ihr dienstfähig, dann steht einem Dienst nichts im Wege. Seid ihr es nicht, dann seid euch eurer Verantwortung für euch selbst, eurem Team und nicht zuletzt dem Patienten und Patientinnen gegenüber bewusst. Letztendlich tragt ihr die Verantwortung für euer Handeln im Einsatz.
Quellen:
Notfall Rettungsmed 2012 · 15:9–15
M. St.Pierre et al, Notfallmanagement, DOI 10.1007/978-3-642-16881-9
https://www.thebalancecareers.com/the-i-m-safe-checklist-282948
Entscheidungsfindung in der Akut- und Notfallmedizin, Notfallmedizin up2date 1 2019
Ein Kommentar zu “I’M SAFE”